Brandbrief

Liebe Freunde und Nichtfreunde, liebe Klassengeschwister,

wenn ihr euch ausgelaugt fühlt, depressiv, hoffnungslos, entsetzt, wütend, aggressiv, hilflos autoritärer Macht und Irrsinn ausgeliefert, und das alles zugleich, dann weiß ich, wovon ihr redet.

Ihr erlebt sicherlich auf Arbeit oder im Bekanntenkreis ähnliches: dass Menschen, die ihr für kritisch und taff gehalten habt, plötzlich alles mitmachen. Die vielleicht mal schimpfen über Nebensächlichkeiten, aber letztlich mitmachen. Mitlaufen. Nichts in Frage stellen. Die dargebotene, komplett unwissenschaftliche Darstellung seit einem Jahr schnöde glauben. Ihr habt sie für klug gehalten, für Linke, für Friedensaktivisten; sie haben vielleicht sogar studiert, aber sie glauben trotzdem an die Geschichte der Imperialisten, die so dermaßen zusammengestümpert ist, dass man nicht mal einen Schulabschluss braucht, um dahinter zu steigen.

Ich möchte nicht mehr auf die immer absurderen Begründungen der Herrschenden eingehen, mit denen sie die permanente, gewalttätige Überrumpelung rechtfertigen. Denn es ist alles gesagt dazu, alles gedacht, wir wissen, warum wir nicht weiterkommen. Wir wissen, dass es ein vielschichtiges psychologisches Problem ist, keines der Fakten. Es ist die Summe und die Art der Lebensängste, die wir in unserem Leben aufgebaut haben. Es sind unsere unterschiedlichen Bewältigungsstrategien, die entweder autoritär oder antiautoritär sind. Und der globale Kapitalismus in seiner brutalen imperialistischen Endzeitausprägung an der Schwelle zu neuen Herrschaftsformen ist autoritär in seinem ganzen Kern. Da ist es eigentlich kein Wunder, wenn viele autoritär veranlagt sind. Und das macht depressiv.

Es macht so hilflos, zuzusehen, wie die Mehrheit sich unterwirft, mitmacht. Wie eigentliche Schwestern und Brüder auf dem Weg sind, zu Erfüllungsgehilfen der imperialistischen Schergen zu werden, und als Begründung dieselben absurden Geschichten darbringen, wie unsere Ausbeuter. Es sind auch Linke, die sich einem falschen Solidaritätsnarrativ unterwerfen. Es ist unsere Einstellung zum Leben, es sind unsere Bewältigungsstrategien, die uns trennen. Und die, wenn wir keine psychologischen Einflussmöglichkeiten haben, dafür sorgen werden, dass der mörderische Kapitalismus durch eine noch brutalere, globale Technokratendiktatur ersetzt wird, für die das Gros von uns überflüssiges Humankapital sein wird “ und schon ist.

Kürzlich auf einer Demo in Hannover fragte eine Aktivistin fast verzweifelt, wo Black Lives Matter bleibt. Ja, wo sind sie, wenn durch die Lockdowns immer mehr Menschen in den armen Ländern sterben? Einfach verhungern im absoluten Elend! Wo sind sie? Wo seid ihr, black sisters and brothers? Warum setzt ihr euch nicht für die schwarzen Leben ein in Ländern, in denen die Menschen nicht am Virus, sondern am Lockdown-Elend sterben?

Ihr, die ihr euch links nennt: Habt ihr euch einmal mit der Krisendynamik des Kapitalismus und mit der technologischen Fortentwicklung desselben befasst? Ich fürchte, die meisten haben das nicht. Denn dann wüsstet ihr, dass das globale System schon lange an einem Punkt angekommen ist, an dem schnöde Ausbeutung von Arbeitskraft alleine nicht mehr genug Profite für die Unterdrücker abwirft. Selbstverständlich nutzen die reichsten und mächtigsten Technokraten die Pandemie-Angst dafür, ihre Herrschaft auf neue Füße zu stellen: Auf die Füße ihrer Aneignung des gesamten Planeten Erde mit allem Leben darauf.

Wir sind uns doch einig, dass die kapitalistische Profitmaschine gerade dabei ist, unseren Lebensraum zu zerstören, unsere Leben zu vernichten. Kein Virus, keine Krankheit, schon gar nicht ein minimal letaler Atemwegserreger Nummer x, wird je so brutal sein, wie jene Kapitalfraktionen, die sich jetzt die Macht aneignen, sich alles, jeden von uns, unser aller Leben, unterwerfen. Merkt ihr das nicht? WARUM haltet ihr den Imperialisten, den Diktatoren, den Unterdrückern und Menschenschindern so beflissen die Stange? Nichts rechtfertigt diese Haltung, nicht mal die Pest täte das.

Ich weiß nicht, wie angesichts dessen das ganze Ding enden wird. Ich spüre, dass Jugendliche immer depressiver werden. Dass eine riesige Resignation sich breit macht, eine Perspektivlosigkeit. Ich erlebe weinende Alte, weinende Mütter, betrübte, lethargische Kinder, die nicht mehr lachen, in meiner Nachbarschaft. Und ich vermute, die meisten gestehen sich einfach nicht ein, dass eine sehr große Rolle das Moment der Überwältigung durch eine unberechenbare Autorität dabei spielt. Werden wir, die Überwältigten, morgen noch an Nahrung, Kleidung, Obdach und Wärme, also das Allernötigste, kommen? Was wird mit unseren Kindern?

Ich habe kein Haus, kein Land, wie viele von euch sicher auch. Ich bin verzweifelt, blicke voll Sorge auf meine Kinder. Es fehlt mir immer mehr der Antrieb, zu kämpfen. Wenn man immer gegen Wände rennt und abprallt, kann das wohl passieren. Der Sinn des Ganzen erstickt in Ignoranz. Die Mauern, gegen die man prallt, sind hart. Das macht mich aggressiv und hilflos zugleich. Ich kann auch nicht mehr für Medien arbeiten, die das, was jetzt unser aller Leben bestimmen wird, das Leben der Ärmsten zuerst vernichten wird und es schon tut, weitgehend ignorieren. Ich kann nicht angesichts der Entwicklung, des vor der Tür schon tobenden Krieges, über Nebensächlichkeiten unter Ausblendung des Wichtigsten berichten. Das geht nicht, das bringe ich nicht über mich.

Und ich fühle mich immer mehr in eine Starre getrieben. Das ist nicht gut, ich weiß das. Der Blick muss nach vorne gehen. Aber das Dickicht ist zu dicht, die Ignoranz, die Verdrängung zu groß. Ich fühle mich wie auf heißen Kohlen starr verharrend, so fassungslos darüber, wie viele einstige Mitstreiter den Brutalitäten, der abartigen Realität zusehen oder einfach nicht mehr genau hinsehen, fixiert auf Geschichten in ihrem Kopf, die erfolgreich von den Herrschenden eingetrichtert wurden und permanent werden.

Das mag jetzt alles sehr pathetisch geklungen haben. Aber das musste mal gesagt werden. Es ist auch nicht so, dass ich, dass wir, euch, die ihr noch den Blick verschließt, auch aus marxistischer Sicht verschließt, nicht willkommen heißen würden. Das weiß ich. Ich bin überzeugt, dass das einzige, was uns helfen kann aus dieser Situation, eine globale Bewegung von unten ist. Schwarz und weiß vereint, alle Arbeiter, alle die unter dem Joch zu leiden haben, alle, die das Joch kennen und/oder verstehen, die das nicht wollen, die sich wünschen, dass alle Menschen endlich gleichwertig zusammenleben, sich einbringen nach ihren Fähigkeiten und erhalten nach ihren Bedürfnissen in einer menschenwürdigen Gesellschaft, zusammen. Eine andere Chance haben wir nicht.

Es ist nicht das Virus, was uns töten wird. Es ist nicht irgendein Virus, nicht irgendeine Krankheit. Töten werden uns die Waffen der Herrschenden und ihre Erfüllungsgehilfen. Sie töten uns jetzt schon. Sie benutzen, sie missbrauchen und töten uns. Mit allen Mitteln. Sie lassen uns absaufen, verhungern, erfrieren, zu Tode arbeiten, krepieren. Es juckt sie nicht. Das tun sie die ganze Zeit. Alles andere geht an der Realität vorbei. Das ist unser gemeinsames Problem.

 

Liebe Grüße

eure Susan

1 Kommentar

  1. Björn

    Danke, habe sehr mitgefühlt in und zwischen den Zeilen hier
    Nehmt gerne auch an den Protesten am 13.03. bundesweit in den Landeshauptstädten (Ausnahme: Rostock anstelle Schwerins) Teil! 1 Jahr Lockdownpolitik – Es reicht!
    http://www.es-reicht-uns.de / @unsreichts (Telegram)

    Für Frieden, Freiheit & Demokratie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert