von GetupStandup
Hach, Frauentach… mal wieder. Der Tag, der auf den Gender-Paygap-Tag folgt – so werden ihn die meisten Menschen dieses Jahr erfahren. Als Besitzerin von 2 X-Chromosomen in jeder Zelle, 2 Brüsten, einer Scheide (an der ich – genausowenig wie Nessie Tausendschön – leide ) , BHs und modernen Menstruations-Verheimlichungsutensilien (der Hygiene dienen die meisten davon doch nur zweitrangig, wenn man mal ehrlich ist) und einer Ausübungserlaubnis zu einem Beruf mit laut statista mehr als 90% Frauenanteil (der von Haus aus mittel-schlecht bezahlt ist) soll das heute wohl auch ein wenig mein Tag sein. Naja…
Wieso kann ich nicht so empfinden? Eine Erklärung:
In wievielen Berufen ist grundsätzlich ein Lohngefälle bzw. in wievielen Frauenberufen ist eine niedrigere Bezahlung Standard? Sind die Gründe immer so eindeutig aufs Geschlecht festnagelbar (so wie Anni Hartmann es in einer ihrer aktuellen Nummern postuliert)? Und wieviele davon kommen in der Öffentlichkeit am heutigen Tag zu Wort? „Gefühlt“ (der Tatsache geschuldet, daß man sich nicht alle Sendungen im TV/im Radio über dieses Thema zu Gemüte führen kann) ist es genau EIN Beruf, der anscheinend besonders unzufrieden über die Ungleichbezahlung – WENN sie denn mal rauskommt – zu sein scheint. Schauspielerinnen kommen anscheinend besonders schlecht weg? Oder haben sie im TV nur eine wesentlich einfachere Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen? Hundert oder manchmal auch hunderttausend Euro weniger pro Rolle als die männlichen Kollegen… ja schlimm. Man mag sich gar nicht vorstellen, was so ein Unterschied bedeutete, wenn der Betrag nicht nur das Künstlerinnen-Ego knicken, sondern real nicht zum (Über)Leben reichen täte.
Und die Frauen sagen da nicht geschlossen: NEIN? Solidarisch untergehakt! Keine nimmt die Rolle an, bevor sie nicht genauso gut bezahlt wäre wie die der männlichen Kollegen – Punkt? Nein, das passiert so nicht. Da wird der Vertrag unterschrieben und dann am „Gender-Paygap-Tag“ medienwirksam in die Kamera geheu(che)lt.
Doch mal zurück auf die Ebene der normalen Lohnempfängerinnen. Der Satz „Es ist nicht verboten seine Arbeitskraft unter Marktwert zu verkaufen“ (Begründung: es herrsche Vertragsfreiheit) in einem (arbeits)juristischen Forum – auf die Frage, ob der Arbeitgeber Recht bekäme, wenn er einer von 5 Arbeitnehmerinnen (ja, alles Frauen in dem Fall) knapp 1/3 weniger Lohn für gleiche Arbeit bezahlen würde, sagt eigentlich alles. Es ist also am Arbeiter/an der Arbeiterin selbst, für Gerechtigkeit zu sorgen und gleichen Lohn wie die anderen einzufordern. (Man könnte jetzt einwenden: das beträfe nur tariflich nicht geregelte Berufe… wozu gibt es Gewerkschaften… usw. usf. – Wo kein Kläger, da kein Richter – wo kein Widerstand, da keine Änderung)
Ein Glück für die Arbeitskraft-Entgegennehmer(innen), daß in Deutschland die strunzdämliche Sitte herrscht, sich mit den eigenen Kolleg(inn)en, ja generell mit anderen nicht so offen wie möglich über das Gehalt auszutauschen, das man bekommt. Wer hat dieses für die Bosse so praktische Intransparenz-Brauchtum eingeführt? Seit wann ist es fast zur Unverschämtheit geworden, nach Transparenz im Betrieb zu streben? Von Demokratie ganz zu schweigen? Das ginge nicht nur, aber auch die Frauen an. Es wäre auch zu ihrem Vorteil.
Wieso klappt in Deutschland nicht, was z.B. in Schweden gang und gäbe ist?
„Dieses System erleichtert Gehaltsverhandlungen
Ganz konkrete und wenig anrüchige Vorteile können aber auch Arbeitnehmer auf Jobsuche oder vor Gehaltsverhandlungen erwarten. Das System erleichtert Gehaltsverhandlungen erheblich. Wenn leicht zu recherchieren ist, was Kollegen in der eigenen Abteilung oder bei der Konkurrenz verdienen, ist es fast unmöglich, viel zu hoch oder zu niedrig zu pokern.
Ein weiteres Einsatzgebiet: Die auch in Schweden noch teils großen aber im Vergleich zu Deutschland geringeren Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen werden enthüllt. Eine Mitarbeiterin kann überprüfen, was die männlichen Kollegen, die die gleiche Arbeit verrichten, verdienen. Klauseln in Arbeitsverträgen, die ein Stillschweigen zum eigenen Gehalt gegenüber Dritten auferlegen, wären in Schweden undenkbar und zudem sinnlos.“ [1]
Wieso fordert am Gender-Paygap-Tag DAS keine Frau medienwirksam? Ja NIEMAND kommt mit dieser Idee zur Möglichmachung einer WIRKSAMEN Bekämpfung von Lohnungerechtigkeiten raus. NUR eine weitere verpasste Chance – oder steckt Absicht dahinter, etwas Bekanntes und Funktionierendes NICHT zu fordern, das der eigenen Sache nützen täte, während man in jede Kamera die problematische Ungleichheit „anprangert“?
Betrachte ich da nur etwas mit der falschen Brille?
Sollten Frauen sich dem Kapitalismus einfach nur noch mehr anpassen, generell geldgeiler werden und die anderen Aspekte in der Berufswahl genauso ausblenden wie die meisten ihre männlichen Kollegen? Werdet zu Raubtieren! so spricht der Kapitalismus – Bist du ein Tiger oder eine Maus, Mäuschen? Wäre das den NICHT solidarisch klassen-kämpfen-wollenden atomisierten Hyperindividualistinnen lieber? (wahrscheinlich betreiben das so manche woke, aber dennoch auf den Marktwert ihrer eigentlich unbezahlbaren Lebenszeit bedachten hochqualifizierten hippen Bullshitjobber-Individuen schon längst und er“kämpfen“ sich mit Penetranz bei ihren ebenso woken Bossen ein paar Hunderttausender mehr Jahresgehalt – Solidarität mit anderen Berufszweigen, gar mit Geschlechtsgenossinnen am unteren Ende der Lohnskala? Fehlanzeige.)
Mind the Gap(s)
Doch auch wenn man gerne und heftig das Narrativ vom so brutalen Geschlechter-Paygap bedienen mag (warum eigentlich? Es gibt dutzende von verschiedenen Arten der Diskriminierung, die so ausgeklammert werden), sollte man die Realität versuchsweise ohne die Genderbrille betrachten: Nicht nur die Frauen betrifft die Ungleichheit. Auch der Unterschied Deutsche/Immigranten, Wessi/Ossi, Festangestellt/Zeitarbeiter, etc. ist vorhanden und die Kluft zwischen den Löhnen oft vergleichbar, manchmal sogar weiter als die zwischen Männlein und Weiblein. Wieso werden diese Unterschiede so gut wie nie erwähnt? Sind diese nicht woke genug? Brächten sie nicht genug Spaltkraft an den Bruchlinien der Gesellschaft, um der neoliberalen Doktrin dienlich zu sein?
Dies sind unter anderem die Fragen, die bewirken, wenn ich sie mir (und anderen) stelle, daß der Frauentag beim Nachdenken darüber irgendwie hohl und entkernt wirkt. Da er vom Trommeln für den Paygap-Tag eh langsam marginalisiert wird (wird ein Vergessen und Ersetzen mit dieser Voranstellung eines neoliberal gestrickten Protesttags vor einen urlinken, prominenten Feiertag angestrebt? oder ist das nur die Befürchtung einer chronischen Verschwörungsschwurblerin?)
Die fehlende allgemeine Ehrung der wichtigsten Protagonistinnen des Kampfes für die Gleichberechtigung der Frauen, ja sogar Versuche des Vergessen-Machens dieser Personen (wie z.B. Clara Zetkin [2]) und das Totschweigen linker Ursprünge dieses Tags im „Mainstream“ tut sein Übriges.
[1] https://www.morgenpost.de/vermischtes/article211576155/Darum-sind-in-Schweden-Einkuenfte-und-Schulden-oeffentlich.html 14.08.2017
[2] https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Debatte-um-Strassennamen-Linke-gegen-Zetkin-Knoten-578233.html
Schreibe einen Kommentar