WDR – 04.09.2023: Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile ’73

Das Militär Chiles unter General Augusto Pinochet putschte am 11. September 1973 gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Bislang weitgehend unbekannt ist neben der Rolle der CIA auch die Rolle des BND und der Staatssicherheit, den beiden Geheimdiensten der BRD und der damaligen DDR.

Eine WDR-Dokumentation die offen legt, wie in den 1970- und 1980er-Jahren die damaligen Bundesregierungen unter Willi Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl, den Putsch und die folgende Militärjunta in Chile unterstützten und selbst bei heutiger selbsternannter moralischer Überhöhung einer „feministischen und wertegeleiteten Außenpolitik“, die Regierung unter Scholz bzw. Baerbock, Deutschland beide Augen vor einem der größten Menschenrechtsverbrechen seiner Zeit nach 1945 mit deutscher Beteiligung fest verschließt und wie gewohnt außer hohlen Phrasen keine Verantwortung übernimmt bzw. eine politische, wissenschaftliche Aufarbeitung verwehrt! 

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait ist eine chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Ihr Studium der Rechtswissenschaften absolvierte sie an der Katholischen Universität in Santiago de Chile mit Spezialisierung auf das Völkerrecht und Praxis im Strafrecht. Luz María setzt sich heute für eine bessere Kenntnis des Völkerrechts und seiner Einhaltung – insbesondere bei Politikern und Medienredaktionen, ein.

Luz María de Lenkait war die jüngste außenpolitische Beraterin des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, der am  11. September 1973 durch die CIA und der damaligen US-Regierung unter Richard Nixon und seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger – als treibende Kraft, durch Augusto Pinochet* gestürzt wurde.

Nach ihrer Arbeit im Außenministerium war sie Diplomatin in Washington D.C., Wien und Jerusalem, unter der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973 bis 1990) wurde sie aus dem Auswärtigen Dienst entlassen.

Ihre Publikationen sind u. a. in chilenischen Tageszeitungen wie El Mercurio, La Epoca bzw. im südamerikanischen Magazin „Perfiles Liberales“, im Portal Amerika 21 und im Palästina-Portal erschienen. Einige ihrer Gutachten (z. B. über den Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.

 

Zuerst erschienen hier: https://freiepresse.news/2023/09/11/1973-der-putsch-in-chile/

 

Salvador Allende war der erste sozialistische Präsident in der Weltgeschichte, der durch demokratische Wahlen an die Macht kam. Der sozialistische Präsident Chiles, Salvador Allende, war eine unvergessliche politische Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Ja, ein unsterbliches sozialistisches Ideal! Sein persönliches Zeugnis für Chile und sein sozialistisches Projekt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, 1972, bleibt hoch aktuell für die ganze Welt.

Ich komme aus Chile, einem kleinen Land, wo jedoch jeder Bürger die Freiheit hat, seine Meinung so zu äußern, wie er es für richtig hält, wo uneingeschränkte Toleranz auf kulturellem, religiösem und ideologischem Gebiet besteht und wo Rassendiskriminierung keinen Platz hat; ich komme aus einem Land, dessen Arbeiterklasse in einem einzigen Gewerkschaftsbund vereinigt ist, einem Land, wo das allgemeine Wahlrecht und die geheime Wahl die Grundpfeiler eines Vielparteiensystems sind, einem Land, dessen Parlament seit seiner Gründung vor 160 Jahren ohne Unterbrechung tätig gewesen ist, dessen Judikative unabhängig von der Exekutive ist und dessen Verfassung, die praktisch immer in Kraft war, seit 1833 nur einmal abgeändert wurde.

Ich komme aus einem Land, wo das öffentliche Leben auf bürgerlichen Institutionen aufbaut, aus einem Land, dessen Streitkräfte ihre berufliche Hingabe und ihren aufrichtigen demokratischen Geist bewiesen haben, einer Nation, die in einer Generation zwei Nobelpreisträger für Literatur hervorgebracht hat, Gabriela Mistral und Pablo Neruda, die beide aus bescheidenen Arbeiterfamilien stammen; einem Land, dessen Geschichte, Boden und Volk in einem umfassenden Bewusstsein ihrer nationalen Identität verschmolzen sind.

Ich komme heute hierher, weil mein Land mit Problemen konfrontiert wird, die aufgrund ihrer weltweiten Bedeutung in dieser Versammlung von Nationen ständig behandelt werden: nämlich der Kampf um gesellschaftliche Befreiung, das Bemühen um Wohlstand und geistigen Fortschritt und die Verteidigung der nationalen Identität und Würde.

Die Aussicht, der mein Land sich gegenüber sah, war, wie in so vielen anderen Ländern der Dritten Welt, das vertraute Muster: Übernahme eines fremden Modernisierungsmodells; technische Untersuchungen und die tragische Realität haben gezeigt, dass ein solches Modell die unausweichliche Wirkung hat, mehr und mehr Millionen Menschen von jeder Möglichkeit des Fortschritts, des Wohlstands und der sozialen Befreiung auszuschließen und sie zu einem subhumanen Dasein zu verurteilen – ein Modell, das zu noch größerer Wohnungsnot führen und eine ständig wachsende Zahl von Bürgern zu Arbeitslosigkeit, Unwissenheit und physischer Not verdammen muss.

Der 11. September ist für Chile ein Tag der Besinnung. Es geht um die Tragödie, die sich nach der Wahl zum Präsidenten dieses bewussten Demokraten und visionären Staatsmannes in diesem Land abspielte. Viermal seit 1952 hatte der Senator Salvador Allende versucht, zum Präsidenten der Republik gewählt zu werden, bevor er die Präsidentschaftswahl im September 1970 gewann. Sicherlich war sein Engagement für die Sache der Arbeiter und Bauern, für den Sozialismus der Beweggrund seiner Vitalität, so sehr, dass es ihm erlaubte, in den erschütternden finalen Minuten hellwach zu bleiben, wie seine letzte dramatische Rede bekundet. Sein Leben, seine Persönlichkeit wurden ein geschichtliches Ereignis, das über seine Zeit hinaus ging und Vorbild für die Jugend und für die Zukunft bleibt.

Allende ging voll in der Rolle als demokratischer Präsident auf, wofür er lange mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit gekämpft hatte. Salvador Allende ist durch das hohe Tor in die Geschichte eingegangen, und er tat es in vollem Bewusstsein. Somit widerlegte dieser große Demokrat alle diejenigen, die glaubten, ihn mit Kugeln und Bomben nicht nur aus La Moneda zu eliminieren, sondern auch aus Chiles Erinnerung.

„Wir sind von Niemanden mentale Kolonisten. Hier und jetzt beginnt die Geschichte eine neue Wende. Ich bin sicher, wir werden die notwendige Energie und Fähigkeit haben, unsere Anstrengungen voranzutreiben, indem wir die erste sozialistische Gesellschaft nach einem demokratischen, pluralistischen und freiheitlichen Muster modellieren. Die Aufgabe ist von einer enormen Komplexität, weil es dafür keine Präzedenz gibt, von der wir uns inspirieren lassen können. Wir betreten einen völlig neuen Weg und haben nichts anderes als unsere Treue zum Humanismus aller Epochen als Kompass . Es ist dies eine unglaubliche Zeit, die die materiellen Mittel bereitstellt, um die großzügigen Utopien der Vergangenheit anzugehen. Lediglich das Gewicht eines Erbes von Begierde, von Ängsten und von obsoleten institutionellen Traditionen hindert uns, sie zu erreichen. Zwischen unserer Epoche und der des befreiten Mannes wird auf planetarischer Skala dieses Erbe überwunden sein. Nur so kann der Mensch sich weiterentwickeln, nicht als Ergebnis einer Vergangenheit von Unfreiheit und Ausbeutung, sondern als bewusste Realisierung seiner nobelsten Potentialitäten. Dieses ist das sozialistische Ideal!.“

(Erste offizielle Rede von Präsident Salvador Allende vor dem Nationalkongress – Plenarsaal, März 1971)

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seit Allendes Wahltriumph vergangen, als er am 4. September 1970 Präsident Chiles wurde. Seine Regierung war eine kurze Etappe von drei Jahren. Eine Koalition von Links – die Unidad Popular, begann einen tiefen Veränderungsprozess im Einklang mit der damaligen Verfassung von 1925 und bestehender Gesetze. Die Verstaatlichung von Bergwerken und großer ausländischer Unternehmen, die Agrarreform, die Verstaatlichung von Banken und Monopol-Unternehmen und die gerechtere Verteilung des Nationaleinkommens wurden Realität, unterstützt von einer breiten sozialen Bewegung. Dass alle diese Veränderungen mit einer demokratischen Vertiefung einhergingen, provozierte ein noch größeres Interesse an diesem Prozess in verschiedenen Ländern Europas und Lateinamerikas so wie in zahlreichen fortschrittlichen Bewegungen der ganzen Welt.

Die öffentliche Aufmerksamkeit versucht bis heute, den Hintergrund dieser Zeit zu ignorieren und lediglich die schreckliche Konsequenz nach Allendes Sturz zu betrachten: die Diktatur General Pinochets und die Gräueltaten dieser deplatzierten, 17 Jahre langen Episode (1973-1990) in der Geschichte Chiles.

Der terroristische militärische Sturz von Präsident Salvador Allende wurde schon lange vor Allendes Amtsantritt erdacht und geplant. Was diesen Militärputsch betrifft, war die Figur von General Pinochet völlig sekundär, völlig unbedeutend. Der unter der Diktatur von Pinochet ermordete ehemalige Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte, General Carlos Prats, bestätigt in seinen Memoiren, dass sich Augusto Pinochet dem lang geplanten Putsch nur in den letzten Wochen anschloss. Es ist natürlich einfach und bequem für die Hauptverantwortungsträger, einen Sündenbock für all das Unheil zu haben, um selbst versteckt außer Acht zu bleiben in einer Zeit, in der die allgemeine Verurteilung der chilenischen Diktatur weltweit unbestreitbar ist.

Das chilenische Volk ist ein Volk, das die politische Reife erlangt hat, mehrheitlich zu beschließen, das kapitalistische Wirtschaftssystem durch ein sozialistisches zu ersetzen. Unser politisches System verfügt über ausreichend offene Institutionen, um diesen revolutionären Willen ohne gewaltsame Brüche zu kanalisieren. Ich mache es mir zur Pflicht, diese Versammlung zu warnen, dass die Repressalien und die Blockade, die darauf abzielen, Widersprüche und wirtschaftliche Deformationen zu erzeugen, Auswirkungen auf den inneren Frieden und das Zusammenleben zu haben drohen. Sie werden keinen Erfolg haben. Die große Mehrheit der Chilenen wird es verstehen, ihnen mit einer patriotischen und würdevollen Haltung zu widerstehen. Wie ich eingangs sagte: Die Geschichte, das Land und unser Volk sind zu einem großen nationalen Sinn verschmolzen.

Die großen transnationalen Unternehmen bedrohen nicht nur die eigentlichen Interessen der Entwicklungsländer, sondern ihr unkontrolliertes Handeln ist auch in den Industrieländern, in denen sie ihren Sitz haben, präsent. Dies wurde kürzlich in Europa und den Vereinigten Staaten angeprangert, was zu einer Untersuchung im US-Senat selbst geführt hat. Angesichts dieser Gefahr sind die Industrieländer nicht sicherer als die unterentwickelten Länder. Dieses Phänomen hat bereits eine zunehmende Mobilisierung der organisierten Arbeitnehmer, einschließlich der großen Gewerkschaftsorganisationen, die es weltweit gibt, hervorgerufen. Einmal mehr wird die internationale Solidaritätsaktion der Arbeitnehmer einem gemeinsamen Gegner gegenüberstehen: dem Imperialismus.

Der Imperialismus und seine Grausamkeit haben eine lange und unheilvolle Geschichte in Lateinamerika, und die dramatische und heldenhafte Erfahrung Kubas liegt sehr nahe.

Mitte der 1970er Jahre, nach so vielen Abkommen und Resolutionen der internationalen Gemeinschaft und der Strategie für das zweite Entwicklungsjahrzehnt, die diese Abkommen feierlich besiegelte, sind wir Opfer einer neuen Erscheinungsform des Imperialismus. Subtiler, heimtückischer und furchtbar effektiv bei der Verhinderung der Ausübung unserer Rechte als souveräner Staat.

Wir sind uns bewusst, dass es für die internationale Öffentlichkeit und sogar für einige unserer Landsleute schwierig ist, eine solche Situation zu verstehen, wenn wir die Finanz- und Wirtschaftsblockade anprangern, die uns angreift. Denn es handelt sich nicht um eine offene Aggression, die vor der Weltöffentlichkeit offen ausgesprochen wird. Im Gegenteil, es handelt sich immer um einen versteckten, unterirdischen Angriff, der aber deshalb für Chile nicht weniger schädlich ist. Wir haben es mit Kräften zu tun, die im Verborgenen operieren, mit mächtigen Waffen, die an den verschiedensten Orten des Einflusses stationiert sind. Wir sind Opfer von Handlungen, die fast unmöglich zu kontrollieren sind.

„Ich werde nicht auf alle globalen Probleme eingehen, die auf der Tagesordnung dieser Versammlung stehen. Ich behaupte nicht, dass ich Lösungen für sie vorschlagen kann. Diese Versammlung hat mehr als zwei Monate lang hart daran gearbeitet, geeignete Maßnahmen festzulegen und zu vereinbaren. Wir sind zuversichtlich, dass das Ergebnis dieser Arbeit fruchtbar sein wird. Meine Ausführungen werden allgemeiner Natur sein und die Sorgen des chilenischen Volkes widerspiegeln.

Das Bild der internationalen Politik, das wir seit der Nachkriegszeit erleben, verändert sich immer schneller, und dies hat zu einem neuen Kräfteverhältnis geführt. Die politischen und wirtschaftlichen Machtzentren sind gewachsen und haben sich verstärkt. Im Falle der sozialistischen Welt, deren Einfluss erheblich gewachsen ist, nimmt ihre Beteiligung an den wichtigsten politischen Entscheidungen auf der internationalen Bühne zu.

Ich bin der Überzeugung, dass es nicht möglich sein wird, die internationalen Handelsbeziehungen und das internationale Währungssystem umzugestalten – ein Bestreben, das von den Völkern geteilt wird – wenn nicht alle Länder der Welt, einschließlich der Länder des sozialistischen Raums, voll an diesem Prozess teilnehmen.

Die Volksrepublik China, in der fast ein Drittel der Menschheit lebt, hat nach langer und ungerechter Ächtung ihren rechtmäßigen Platz im Forum der multilateralen Verhandlungen wiedererlangt und diplomatische und Handelsbeziehungen mit den meisten Ländern der Welt aufgenommen.“

(Aus der Rede vom Präsident Allende vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, 4.12.1972)

Er bekam für diese Rede vor der UN-Vollversammlung stehenden Applaus.

Die unmenschliche und willkürliche Wirtschaftssanktionspolitik der USA ist heute ein Angriff auf die Entwicklung der Menschen, vor allem in Kuba, Syrien, Venezuela, Iran und Russland. 

 

17.11.2018 – RT DE: Blutige Bilanz: US-Interventionen in Lateinamerika

14.11.2020 – Telepolis: Wie Henry Kissinger den Putsch in Chile vorbereitet hat

11.09.2020 – RT DE: 9/11 in Chile: Wie die USA eine Schreckensherrschaft implementierten

30.08.2023 – taz: Gerichtsurteil im Mordfall Víctor Jara: Gerechtigkeit nach 50 Jahren

10.09.2023 – SZ: Augusto Pinochet – Der Diktator, dessen Erbe Chile bis heute verfolgt

11.09.2023 – German-Foreign-Policy: Rezension: „Die Jakarta-Methode“
(Vincent Bevins beschreibt die mörderischen US-Programme für die Putsche in Indonesien und in Chile. Die Bundesrepublik trug Mitverantwortung)

11.09.2023 – ARD: 50 Jahre nach Putsch in Chile Pinochets langer Schatten

11.09.202 – RT DE: Demokratie: Wenn der Betrug nicht zieht, kommt der Putsch

11.09.2023 – RT DE: Der andere „Elfte September“ – Putsch in Chile 1973

11.09.2023 – RT DE: 50 Jahre nach Pinochets Putsch – Chiles Erbe der marktradikalen Terrorherrschaft mit „US-Mandat“

11.09.2023 – FR: Putsch in Chile: Die Lektionen des Augusto Pinochet

11.09.2023 – Spiegel: 50 Jahre Putsch in Chile – Warum General Augusto Pinochet heute wieder bewundert wird

12.09.2023 – Zeit Online: 50. Jahrestag: Chile gedenkt der Opfer der Militärherrschaft unter Diktator Pinochet

YouTube

WDR 2003: Verrat in Santiago- Wer hat Salvador Allende getötet? Film von Wilfried Huismann

Freiheitsliebe 2020: Salvador Allende und der Putsch in Chile

arte 2020: Der andere 11. September

Timeline Deutschland 2022: Doku: Pinochet – Diktator oder Held in Chile?